Predigt: Pfr. Thomas Pfeifroth

Joh 12, 20–33


Warum musste Jesus sterben? Das, liebe Geschwister, ist die Frage, die sich wie ein roter Faden durch das gesamte Evangelium des Johannes zieht, und sich in dem heutigen Abschnitt verdichtet. Warum musste Jesus sterben? Was hat sein Tod bewirkt? Ja, welchen Sinn hat der Tod überhaupt?

Es ist eine Frage, die auch uns – bewusst oder unbewusst – umtreibt, mit zunehmendem Alter und viraler Gefahr noch mehr: Welchen Sinn hat mein Tod? Was bleibt von mir?

Der Mensch im Kreislauf des Lebens

Eines ist gewiss, jeder von uns wird früher oder später sterben. Meist fehlen uns die Worte, wenn Menschen von uns gehen. Wir versuchen, unsere Hilflosigkeit mit Riten zu besänftigen. Wir legen auf den Gräbern Kränze nieder. Unser Verstand mag uns sagen, dass in 15 oder 20 Jahren das Grab nichts mehr enthält, was an den Verstorbenen erinnert; und dennoch legen wir Kränze nieder – ein uraltes Zeichen, das uns versichern möchte, dass das Leben nicht nur eine Linie mit einem Anfang und einem Ende ist, sondern ein Kreis, der sich nur schließt, um neu zu beginnen.

Auch Blumen bringen wir mit – auch sie ein uraltes Bild zum Trost gegen den Tod. Die Blumen drücken aus: wenn Menschen sterben, dann ist es so, wie wenn Blumen im Herbst all ihren Lebensinhalt, zu dem sie im Sommer gereift sind, der Erde anvertrauen und ihr Sterben nichts weiter als eine Aussaat zu einem neuen, größeren Leben ist.

Bilder aus der Natur wollen uns trösten vor dem Leid aus der Natur. Aber tröstet es uns wirklich, wenn wir aus dem Munde Jesu heute hören: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.?

Oft sehe ich angesichts des eigenen Todes keine andere Hoffnung, als mich noch fester an das Leben zu klammern; doch, wenn ich das tue, merke ich, dass ich mein Leben allein mit der verbissenen Sorge verbringe, wie ich am besten am Leben bleiben kann und dabei verschleiße ich mich doch nur immer mehr in meinem Kampf gegen das Unvermeidliche. Ist das wirkliches Leben? Verliere ich nicht in Wahrheit mein Leben in falscher, übertriebener Fürsorge?

Nichts anderes meint Jesus, wenn er dem Gedanken von dem sterbenden Weizenkorn hinzufügt: Wer an seinem Leben hängt, verliert es; wer aber sein Leben in dieser Welt geringachtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben.

Wie also leben Angesichts des Todes?

Als Jesus die heutigen Worte des Evangeliums spricht, weiß er um seinen nahen Tod. Er ist bereits auf einem Esel in Jerusalem eingezogen und die Vorbereitungen für das Letzte Paschamahl mit seinen Jüngern sind bereits im vollen Gange. Wir wissen, dass auf seinen Tod seine Auferstehung folgt. Aber denken wir daran: Jesus wusste dies vor seinem Tod sicher nicht. Und er will auch nicht den Tod, im Gegenteil, er flieht vor ihm, solange es geht; nur: er vermeidet ihn nicht um jeden Preis.

Das Leben darf nicht eine ewige Flucht bleiben. Wenn die religiösen und staatlichen Behörden es partout nicht verstehen wollen oder nicht verstehen können, dann muss die Auseinandersetzung irgendwann eben bis zum Äußersten geführt werden; man kann diese Auseinandersetzung nicht vertagen, so wenig wie eine Blume darauf warten kann zu blühen, – sie muss es jetzt tun oder nie, eine andere Chance zum Leben hat sie nicht.

So seufzt Jesus – wir hören es im Mittelteil des Evangeliums: Jetzt ist meine Seele erschüttert. Was soll ich sagen: Vater, rette mich aus dieser Stunde? Aber deshalb bin ich in diese Stunde gekommen. Vater verherrliche deinen Namen!

Auch er hat Angst vor dem Tod. Doch während alle um ihn herum die Angst vor dem Tod für ein Argument halten, den Tod zu vermeiden, vermeidet er ihn nicht um jeden Preis.

Denken wir seinen Tod nicht von der Auferstehung her, dann hat sein Leben und sein Tod in den Augen der Menschen keinen Erfolg gebracht. Hätte Jesus einen Erfolg nach menschlichen Maßstäben haben wollen, dann hätte er strategisch handeln müssen. Er hätte im Hinblick auf die Pharisäer und Schriftgelehrten kalkulieren müssen, wie er sich von Fall zu Fall ausdrücken darf, um möglichst lange zu leben. Nur wäre bei allem Taktieren mit den religiösen und weltlichen Herrschern das Wesentliche aus dem Blick geraten: Sein Vertrauen in seinen Vater, in diese väterliche und mütterliche Macht jenseits der Natur. Nur einer solchen Macht kann ein Mensch sich anvertrauen gegen den Abgrund des Todes. Gegen die Angst hilft nicht die Parole zu propagieren, halt tapfer zu sein, sondern nur ein persönliches Vertrauen in diese höhere Macht jenseits der Natur des Todes.

Leben und Sterben im Vertrauen auf Gottes Liebe

Hauptsache gesund! Sagen wir in diesen Tagen oft und meinen damit, dass das Wichtigste im Leben ein gesundes, schmerzfreies Leben sei. Jesus lebte in einer anderen Haltung. Für ihn war die Beziehung zu seinem Vater im Himmel das Wichtigste. Durch diese Hingabe an seinen Vater wusste er wirklich zu leben.

Gott vertraut er sich an. Er vertraut darauf, dass diese Macht ihn umfangen wird mit absoluter Liebe. Durch dieses Vertrauen verherrlicht er Gott. Dadurch, dass er trotz seiner Todesangst sich auf Gott wirft, leuchtet in seiner Existenz, in seinem Tode Gott selber auf. Er verherrlicht Gott in seinem Tod.

Und dies ist der Sinn seines Todes: In ihm das Vertrauen in einen liebenden Gott aufleuchten zu lassen, der mich mit seinen väterlichen und mütterlichen Armen umfangen wird. Dieser Tod bringt – um es noch einmal zu sagen – in den Augen der Menschen keinen Erfolg. Doch mit den Augen Gottes betrachtet ist es eine Verherrlichung, ein Lobpreis Gottes.

Ist das nicht eine herrliche Botschaft in Hinblick auf unser verbissenes Festhalten an Leben, Gesundheit und Leistung?

Nach seiner seelischen Erschütterung angesichts des Todes, seinem Ringen mit Gott und schließlich seiner vertrauensvollen Hingabe an ihn heißt es im Evangelium weiter: Da kam eine Stimme vom Himmel: Ich habe ihn schon verherrlicht und ich werde ihn wieder verherrlichen. Die Menge, die dabeistand und das hörte, sagt: Es hat gedonnert. Andere sagten: Ein Engel hat zu ihm geredet.

Wer so lebt wie Jesus, der gibt Gott die Ehre, der hat das wirkliche Leben – jenseits aller Verkrampfungen. Der hört eine Stimme, die zu ihm sagt: Ich liebe dich; und der Tod hat nicht länger Gewalt über ihn. Der Ungläubige wird sagen: Es hat gedonnert.

Jesus reagiert auf dieses Ereignis mit den Worten: Nicht mir galt diese Stimme, sondern euch. Jetzt wird Gericht gehalten über diese Welt; jetzt wird der Herrscher dieser Welt hinausgeworfen werden.

Es ist die Frage, wie wir Menschen auf das reagieren, was vom Himmel hörbar wird, wenn Jesus sich uns mitteilt. Durch das Vertrauen Jesu bis in den Tod wurde die Angst, der Herrscher dieser Welt, durch ihn aus der Welt hinausgeworfen. Diese Angst aus der Welt zu bringen, war das Hauptanliegen Jesu.

Es liegt an uns, liebe Schwestern und Brüder, in dieser Weise zu sterben und zu leben.

Amen.