Liebe Schwestern und Brüder,

vielleicht haben Sie es auch bemerkt: Im Jahr 2010 trug die letzte deutsche Siegerin beim Grand Prix Eurovision, Lena Meyer-Landrut, ein Taizé Kreuz. Also einen kleinen emaillierten Anhänger, halb Taube, halb Kreuz.
Auf die Nachfragen der Reporter, was es damit auf sich habe, hat sie betont, dass ihr das wichtig war, sie ist aber diskret damit umgegangen.

Das ist auch typisch für das, worum es in dieser Fastenpredigt gehen soll: Taizé und seinen Gründern, Fr. Roger. Einerseits in aller Öffentlichkeit, aber andererseits zurückhaltend. Man kann hier geradezu von einer unaufdringlichen Selbstverständlichkeit sprechen. Spuren von Taizé sind überall, aber sie bleiben dezent.
„Taizé“: Damit verbinden sich verschiedene Stichworte: Gemeinschaft, wohlklingende Musik, Gesang, heitere Begegnungen, Internationalität und tausende von Jugendlichen, die bis heute deswegen unterwegs sind.
Und natürlich der Name: fr. Roger Schutz, dem Gründer.

Aber wer war Roger Schutz? Nun, bei ihm ist es so: In seinem Leben gibt es nicht das eine große bedeutende Ereignis. Und um die Frage nach ihm zu beantworten, ist es gut einen Schritt zurück zu machen und das ganze Bild seines Lebens zu betrachten.

Geboren in der Schweiz im Jahr 1915 als 9. Kind eines reformierten Pfarrers und einer französisch stämmigen Mutter. Der Wunsch Schriftsteller zu werden, ließ sich nicht verwirklichen. So studierte er etwas widerstrebend evangelische Theologie. Zu dieser Zeit zweifelte er selber an der Möglichkeit für Menschen, Gemeinschaft mit Gott haben zu können. Als seine Schwester Lily schwer erkrankte, begann er wieder zu beten. Ihre Genesung verstand er als Antwort auf seine Gebete.

Zwei Themen verdichteten sich ab dann in seinem Leben: Versöhnung und religiöses Gemeinschaftsleben. Versöhnung hatte er bei seiner französischen Großmutter erlebt. Diese hatte im Ersten Weltkrieg selber vor der Front fliehen müssen. Danach war sie davon beseelt, dass niemand das durchleiden solle, was sie erlebt hatte. Eine Wurzel für den Konflikt sah sie in der konfessionellen Spaltung Europas. Und sie vollzog für sich selber eine innere Versöhnung, indem sie bewusst in die katholische Kirche ging.

Gemeinschaftsleben hatte er in seiner Großfamilie erlebt. Auf andere Weise setzte er sich während des Studiums damit auseinander. Der Titel seiner Abschlussarbeit lautete: Das Mönchsideal vor Benedikt und seine Übereinstim-mung mit dem Evangelium.

Nach dem Studium suchte sich Schutz im Jahre 1940 mit 25 Jahren in einem kleinen Dorf in Burgund eine Niederlassung: Taizé. Hier sollte Versöhnung gemäß dem Evangelium ganz handgreiflich werden, getragen aus dem Gebet. Der Zweite Weltkrieg war ausgebrochen und Frankreich militärisch besiegt. Viele Menschen waren auf der Flucht vom Norden in den entmilitarisierten Süden.

Roger Schutz setzte sich für Flüchtlinge, Juden oder politisch Verfolgte ein und brachte sie über die Grenze.
Als die Gestapo Schutz verhaften wollte musste er in die Schweiz zurückkehren. Doch gerade hier schlossen sich ihm seine ersten Brüder an.

Nach der Befreiung Frankreichs, noch vor Kriegsende kehrten die Männer zurück nach Taizé. Jetzt widmeten sie sich der Sorge um deutsche Kriegsgefangene und um Kriegswaisen; ersteres mitunter zum Missfallen der französischen Ortsbevölkerung.

In diesen Jahren nach dem Krieg begann der kleine Frühling von Taizé. Immer mehr Menschen wollten Fr. Roger und seine Brüder treffen. Das liebevoll gestaltete Gebet zog immer mehr Menschen an, vor allem junge. Auch die Ge-meinschaft wuchs.

Die Örtlichkeiten begannen zu klein zu werden. Mit Hilfe des damaligen apostolischen Nuntius in Paris, Giuseppe Roncalli, dem späteren Johannes XXIII., wurde etwas Ungewöhnliches möglich: Der aus evangelischen Christen bestehende Gemeinschaft wurde die alte romanische, katholische Dorfkirche überlassen.

Beim Zweiten Zweiten Vatikanischen Konzil, dachte Johannes XIII. an Schutz und seine Brüder. Sie wurden als Konzilsbeobachter eingeladen.

Diese Erfahrung prägte Schutz‘ Leben. Vor allem ein Gedanke des Papstes im Hinblick auf das Gespräch zwischen Katholiken und Protestanten bewegte ihn tief: Es sollte nicht darum gehen zurück zu blicken und die Schuldfrage zu stellen. „Wir werden einfach sagen: Versöhnen wir uns!“

Im Vorfeld des Konzils leistete Fr. Roger seinen Beitrag für diese Versöhnung, indem er 50 evangelische Pfarrer und zehn katholische Bischöfe zeitgleich nach Taizé zum Gespräch einlud.

In den Verwerfungen der 68er Revolution sah sich die Gemeinschaft dann in der Pflicht für die Versöhnung von Jung und Alt zu wirken. Schutz lud im Jahr 1970 zu einem Konzil der Jugend nach Taizé ein. Aus dieser Initiative entstanden ab 1978 einmal jährlich stattfindende internationale Jugendbegegnungen in großen europäischen Städten.

Fr. Roger unterhielt mit allen Päpsten nach Johannes XXIII. ein sehr freundschaftliches Verhältnis. Dabei kam es zu einer bezeichnenden Szene, nicht ohne Ironie. Auf der Beerdigung von Johannes Paul II. im Jahr 2005 reicht der damalige Kardinal Josef Ratzinger dem ebenfalls anwesenden Schutz mit der aller-größten Selbstverständlichkeit die Eucharistie. Das führte in konservativen katholischen Kreisen zu einer gewissen Aufregung. In anderen Kreisen wurde vermutet, dass Schutz insgeheim zum Katholizismus übergetreten sei.

Tatsächlich wurde nur deutlich, was geschehen war: Fr. Roger hatte in seinem eigenen Leben die Versöhnung vollzogen. Er war tief evangelisch und glaubte mit ganz fester Überzeugung an die Realpräsenz Jesu in der Eucharistie. Der spätere Papst Benedikt XVI. wusste darum und respektierte es. Nur wenige Monate nach der Beerdigung von Johannes Paul II. wurde er am 16. August von einer geistig verwirrten Frau beim Gebet erstochen.
Zu dieser Zeit zählte seine Gemeinschaft bereits rund 100 Brüder aus den verschiedensten christlichen Konfessionen. Schon acht Jahre zuvor hatte er Fr. Alois Löser als seinen Nachfolger bestimmt.

Liebe Schwestern und Brüder, wenn wir einen Schritt zurückmachen und das Leben dieses stillen Mannes aus der Schweiz betrachten. Was sehen wir? Wer war Fr. Roger?

Ganz kurz gesagt: ein Christ! Einer, der bewusst gegen die Verwüstungen des 20. Jahrhunderts Versöhnung gesetzt hat. Sei es die Innere Verwüstung in der Seele der Menschen – gerade der jungen Menschen. Die Verwüstung des Leibes Christi durch die konfessionelle Trennung. Die Verwüstung der Welt in der Trennung zwischen Ost und West und später zwischen Nord und Süd.

Liebe Schwestern und Brüder! Das heutige Evangelium, mit der sogenannten Tempelreinigung könnte da als vollkommen deplatziert wirken: immerhin ist das die Stelle, wo Jesus handgreiflich wird. Und doch führt dieses Evangelium ins Mark dessen, wofür sich Fr. Roger einsetzte: Der Eifer Jesu für die Gemeinschaft der Glaubenden, seinen Leib.

Dazu passt: Ins große mitunter gewaltsame Aufbegehren der jungen Generation gegen das Establishment vor genau 50 Jahren veröffentlichte Schutz ein kleines Bändchen mit dem Titel: Die Gewalt der Friedfertigen („Violence des pa-cifiques“).

Mit dem wieder aktuell gewordenen Schlüsselzitat aus diesem Buch möchte ich schließen:
„Die Gewaltsamkeit der Friedfertigen! Sie ist schöpferisch. Sie ist es, welche die Menschen revolutioniert und sie durch die Herausforderung, die sie darstellt, zwingt, Stellung zu nehmen. Sie besitzt eine mitteileilende und verbindende Kraft. Sie ist erkennbar an bestimmten Zeichen.

Sie ist zunächst wie ein lebendiger Einwand gegen ein träge gewordenes christliches Gewissen, das sich mit dem Haß oder der Ungerechtigkeit abfindet. Welche Herausforderung bedeutet ein Christ, der inmitten der Welt der Unge-rechtigkeit, der Trennung zwischen Mensch und Mensch und des Hungers eine lebende Hoffnung wird! Frei von allem Haß wirkt seine Gegenwart aufbauend und ist schöpferisch. Diese Herausforderung ist voll brennender Liebe; sie ist eine Gewaltsamkeit als bleibende Lebensform. Lebt ein Mensch in diesem Feuer, so zündet er Feuer an auf der Erde.“ (Vgl. Schutz, Roger Die Gewalt der Friedfertigen. Gütersloh 1970, S. 133.)

Text der Predigt zum Herunterladen