5. Sonntag der Fastenzeit – Joh 11, 1-45

Liebe Schwestern und liebe Brüder!

In den ersten beiden Monaten dieses Jahres haben sich in meinem Terminkalender drei Goldene Hochzeiten angesammelt von drei mir persönlich gut bekannten Ehepaaren. Gerne hätte ich mit ihnen auch vor Gott in den Dank eingestimmt, der sie alle drei erfüllt hat, als sie mich auf das jeweilige Datum im April und Mai angesprochen haben. Nun ist alles anders geworden. Die Termine wurden verschoben oder gestrichen. Aber der Dank und die innere Freude ist geblieben.

Es ist schön, wenn ein Ehepaar nach 50 Jahren gemeinsamen Lebens voneinander sagen kann: Ich habe dich wachsen sehen. Ich habe erfahren und auch mitwirken können, was aus dir und aus uns beiden geworden ist; wie du auf Menschen reagierst, wie du zuhören und auf andere eingehen kannst. Ich sehe, wie du dich freuen kannst. Und ich habe erlebt, wie du Leidvolles angenommen hast – die schwere Krankheit, einen Schicksalsschlag auf der beruflichen Ebene, den frühen Tod unseres Sohnes.

Theodor Fontane lehrt uns eine zutreffende Unterscheidung von zwei Arten der Treue. Er spricht von der bloßen Treue und der bewährten Treue. Wörtlich: „Es ist eben nicht viel, treu zu sein, wo man liebt und wo die Sonne scheint und das Leben bequem geht und kein Opfer fordert. Nein, nein, die bloße Treue ist es nicht. Aber die bewährte Treue, die tut es.“  Jede und jeder von kann davon erzählen – von schönen und von schlimmen Erfahrungen.

„Ach bleib mit deiner Treue bei uns, mein Herr und Gott; Beständigkeit verleihe, hilf uns aus aller Not.“ So lautet die fünfte und letzte Strophe des Liedes 436 in unserem Gesangbuch, die wir als Leitfaden für die diesjährige Predigtreihe zur Fastenzeit 2020 gewählt haben.

Nicht von ungefähr hat sich der Text dieses Liedes durch mehrere hundert Jahre gehalten. Welche Kraft und welche Anmut kommt darin zum Tragen! In diesen so einfachen Worten spüren wir eine so innige Beziehung des Beters zu seinem Gott. Er spricht ihn ganz persönlich an: „Mein Herr und mein Gott“!  Der Beter ist in der Heiligen Schrift zu Hause. Ein biblisches Grundgebet kommt hier zum Klingen. Es erinnert an das Wort aus einem der zahlreichen Osterevangelien, das von Thomas und seinen Zweifeln erzählt und einmündet in dieses „Mein Herr und mein Gott.“

Bewährte Treue erwächst aus einer innigen Beziehung. Die Worte dieser Liedstrophe haben ein Fluidum, das uns hineinnehmen will und hineinnehmen kann in den Strom dieser Beziehung. „Ach bleib mit deiner Treue …“ ist wie ein kindliches Wünschen, Flehen und Betteln. Der Beter, der das so formuliert, weiß, wovon er redet. Er spricht von der Treue Gottes zu uns Menschen. Hier ist in einem Wort das Alte und das Neue Testament komprimiert und kondensiert. Es geht um die Treue Gottes. Sie hat literarische Gestalt gewonnen in dem wunderbaren Gleichnis vom liebenden Vater in seiner Treue zum verlorenen Sohn (Lk 15, 11-32). Und das Zeichen für Gottes Treue zur Verkündigung Jesu und seinem Sein und Handeln ist die Auferweckung des Gekreuzigten.

Bewährte Treue.

Wie von einem Menschen Treue gelebt werden kann, dafür steht im Neuen Testament eine Gestalt, die in der Volksfrömmigkeit häufig mit dem Eigenschaftswort „treu“ in Zusammenhang gebracht wird: der heilige Josef, der treue Josef. Durch sein Leben und Handeln bekommt das Wort eine überraschende Füllung. Es lohnt sich, diese Gestalt noch etwas näher anzuschauen.

Die verschiedenen kleinen Episoden, in denen er eine zentrale Rolle spielt, ähneln einander. Jedes Mal kommt Josef vom Schlafen und Träumen über das Erwachen zum Handeln. Dieses Handeln ist jeweils für ihn und seine Familie von großer Tragweite. Schauen wir uns dieses Handeln näher an! Er handelt aus einer tief von innen her bestimmten und gewachsenen Entschiedenheit.

Ich möchte ihn darum einmal den Patron des Unbewussten nennen. Maria hat in ihm einen inneren Wandel ausgelöst: den Wandel von der Außensteuerung weg zur Innensteuerung. Marias Schwangerschaft wurde zum Knotenpunkt seines Lebens. Er musste sich entscheiden, wie es weitergehen sollte. Zunächst reagiert er außengesteuert. Er fragt sich: Was tut ein Mann in solchem Fall? Er entscheidet sich dagegen, sie öffentlich bloßzustellen. Er sucht den Weg der Mitte, will sie „in aller Stille“ entlassen. Aber im Traum kommt er der göttlichen Botschaft seines Unbewussten nahe: Er liebt Maria viel zu sehr, um sie wegzuschicken und in eine Notlage zu bringen.

Eigentlich will er etwas ganz anderes: nämlich zu ihr stehen. Die Botschaft des Traumes lässt ihn seine eigentliche, stimmige Entscheidung finden. Er wird wach für das, was er wirklich will, was von innen her dran ist. Jetzt handelt er mit zielstrebiger und kraftvoller Entschiedenheit – hier und dann entsprechend in den späteren Situationen der Bedrohung. Er ist nicht der Träumer, der abhebt – wie Joseph von Ägypten. Es sind keine Wunschträume und keine Luftschlösser, die Josef von Nazareth träumt. Er ist ein Mann, der „mit beiden Beinen auf der Erde träumt.“ Seine Träume zeigen ihm den Ausweg aus realer Not. Sein Unbewusstes erspürt mehr. Wir sprechen auch manchmal vom „sechsten Sinn“, der uns mehr ahnen lässt, so dass wir die richtige Entscheidung treffen.

So steht Josef für eine Treue, die innengesteuert ist. Er bleibt sich selbst treu. Und damit bleibt er seinem Auftrag, seiner Berufung treu. Und die Treue zu sich selbst ist eine Quelle der Kraft. Sie hat die Kraft zum Handeln. Treue bewährt sich im Handeln. „Nein, nein, die bloße Treue tut es nicht. Aber die bewährte Treue, die tut es.“

Amen

P. Josef Schulte OFM