Predigt: Pfr. Thomas Pfeifroth | 1. Januar 2021


Liebe Geschwister, am Jahresanfang möchte ich mit Ihnen über die Zeit nachdenken.

Wir schreiben das Jahr 2021 nach Christi Geburt.

Wir teilen unsere Zeit ein in eine Zeit vor und nach Christi Geburt.

Vor Christi Geburt, nach Christi Geburt. – Die Geburt Jesu ist das wichtigste Menschheitsereignis. Es gibt nur ein Davor und ein Danach. Der Bezugspunkt für die Menschheitsgeschichte ist seine Geburt.

Immer wieder gab es Bemühungen, andere Referenzpunkte zu wählen. Nach der Französischen Revolution wollte man etwa deren Beginn, den Sturm auf die Bastille, als Bezugspunkt nehmen. Fortan sollte es die Jahre vor der Freiheit und die Jahre der Freiheit geben. Wir wären demnach momentan – wenn ich richtig gerechnet habe – im Jahre 231 der Freiheit.

Unsere Zeit orientiert sich nicht nach der Regierungszeit eines Herrschers oder der Tat eines Volkes, unsere Zeit orientiert sich nach der Menschwerdung unseres Schöpfers. Der Bezugspunkt für die Menschheitsgeschichte ist seine Geburt.

Zeit, dir von Gott geschenkt

Auf christlichen Grabsteinen oder in Traueranzeigen findet man für gewöhnlich vor dem Geburtsdatum des oder der Verstorbenen einen Stern, vor dem Sterbedatum ein Kreuz.

  • Der Stern symbolisiert den Stern von Bethlehem, also die Geburt Jesu – seinen Lebensbeginn hier auf Erden.
  • Das Kreuz symbolisiert das Kreuz von Golgatha, also seinen Tod – sein Lebensende hier auf Erden.

Unsere persönliche Lebenszeit wird in Bezug gesetzt zu der Lebenszeit Jesu, seiner Geburt unter dem Stern von Bethlehem und seinem Tod am Kreuz.

Zeit, dir von Gott geschenkt

Das Kirchenjahr beginnt mit dem 1. Adventssonntag. Diese Zeitenwende vom alten zum neuen Kirchenjahr ist liturgisch von der Wiederkunft des Herrn geprägt.

  • In den Evangelien wird am Ende des Kirchenjahres das Ende der Welt, das Jüngste Gericht thematisiert.
  • Am Beginn des neuen Kirchenjahres – in der Adventszeit – bereiten wir uns nicht nur auf das Fest der Geburt Christi vor. Auch die Adventszeit ist von der Sehnsucht nach der Wiederkunft unseres Erlösers und damit von der Sehnsucht nach dem Himmel und dem Ende der Welt geprägt.

Die Zeitenwende vom alten zum neuen Kirchenjahr ist also liturgisch von der Wiederkunft des Herrn geprägt.

Mir persönlich sagt der kalendarische Jahreswechsel immer weniger. Ich persönlich lebe immer mehr mit dem liturgischen Kalender. Das Kirchenjahr hat zwei Höhepunkte: Weihnachten und Ostern.

Weihnachten und Ostern – Stern und Kreuz – Geburt und Tod, bzw. Auferstehung. Mit diesen Höhepunkten des Lebens Jesu möchte ich mich immer mehr vereinigen.

Die Menschheitsgeschichte mit ihrem Referenzpunkt der Geburt Christi.

Die Geschichte meines eigenen individuellen Lebens ausgespannt im Stern von Bethlehem und dem Kreuz von Golgatha.

Zwischen Stern und Kreuz: Viele Jahre, ein Jahr mit 365 Tagen, der Tag mit vielen Augenblicken.

Zeit, dir von Gott geschenkt

Unser christlich-abendländisches Zeitverständnis ist linear. Es hat einen Anfang und ein Ende, im Gegensatz zum kreisförmig-zyklischen Zeitverständnis beispielsweise des Buddhismus, bei dem sich auf ewig alles wiederholt. Ich stelle mir dieses lineare Zeitverständnis nicht als eine gerade Linie vor, sondern in vielen Spiralen. Ein Jahr – eine Spirale. Wie bei einer Wendeltreppe, einer Helix oder Schraube. Auch dort gibt es ein Anfang und Ende, doch in kreisenden Bewegungen kommt man dem Ziel nahe. In einem Jahr bin ich eine Windung weitergegangen, meinem Tod und meiner Auferstehung ein Jahr näher. Jedes Jahr erlebe ich aufs Neue die Höhepunkte Weihnachten und Ostern.

Das Jahr, mit seinen 365 Tagen. Der Tag mit seinen vielen Augenblicken.

Wenn Sie sich Vorsätze machen für das neue Kalenderjahr, dann lege ich Ihnen ans Herz: Sie müssen Ihren Vorsatz immer nur konkret für den gerade gelebten Tag verwirklichen; Sie müssen immer nur an den konkreten Tag denken. Er zählt. Sich nicht verrückt machen lassen, dass noch unzählig viele auf diesen folgen werden.

Jesus lebte ganz im Augenblick. Und das bedeutete für ihn, vor allem im konkreten Tag zu leben. Ihn kümmerte der vergangene und der kommende Tag wenig. Für ihn zählte das Heute.

Zeit, dir von Gott geschenkt

Der Tag mit seinen vielen Augenblicken. In ihnen leben wir tatsächlich. Alles davor und danach ist nicht Wirklichkeit, sondern Gedanke, Imagination, Einbildung.

Søren Kierkegaard sagte einmal: Der Augenblick ist jenes Zweideutige, darin Zeit und Ewigkeit einander berühren.

Der Augenblick ist uns von Gott geschenkt. Von Augenblick zu Augenblick.

Habe ich dieses Geschenk Zeit von Gott angenommen? Gehe ich mit meiner geschenkten Zeit verantwortlich um, oder lasse ich mich von ihr wie von außen gesteuert hetzen?

Zum Abschluss ein kurzes Gedicht von Andreas Gryphius

Mein sind die Jahre nicht,
die mir die Zeit genommen;
Mein sind die Jahre nicht,
die etwa möchten kommen;
Der Augenblick ist mein,
und nehm’ ich den in acht,
So ist der mein,
der Zeit und Ewigkeit gemacht.

Amen.