Guardini Predigtreihe | Prof. Dr. Ugo Perone | 26. Juni 2021

Texte: Weish 1, 13-15; 2, 23-24 | Ps 30 (29), 2 u. 4.5-6b.6cdu. 12au. 13b(R: vgl. 2ab) | 2 Kor 8, 7.9.13- 15 | Mk 5, 21- 43


Wie der dänische Philosoph Søren Kierkegaard mal geschrieben hat, ist die Predigt die schwierigste aller Künste, weil sie die Rede ist, «wo der Einzelne als Einzelner zum Einzelnen spricht». Man könnte hinzufügen: In der Predigt spricht nicht nur der Einzelne zum einen anderen Einzelnen sondern das, worüber man spricht – der Inhalt der Rede – ist keine allgemeine Wahrheit, sondern eine zur Person gewordene Wahrheit, eben die Wahrheit, die sich in Christus geoffenbart hat.

Die liturgischen Lesungen von heute geben uns Zeugnis davon. Und die Liturgie, wie Romano Guardini betont, ist eine Handlung, in der «was betet, opfert und handelt, nicht die Seele, nicht die Innerlichkeit sondern der Mensch ist», der ganze Mensch (28). Um auf der Höhe dieser Handlung zu sein, müssen wir, wie er sagt, wieder symbolfähig werden.

Ein Symbol, das wissen wir, ist eine Art Kennzeichen, wie z. B. ein in zwei Teile gebrochener Stein, der eine Wiedererkennung ermöglicht, wenn die Teile perfekt zueinander passen. Das Symbol ist eine Erinnerung an eine gemeinsame Erfahrung, in einer Zeit, in der eher die Entfremdung erlebt wird. Es hat aber die Kraft, diese gemeinsame Erfahrung wieder herzustellen. Auch wenn wir vieles vergessen haben und die Anerkennung schwierig geworden ist, ist das Symbol da – die getrennten Teile passen zu einander! – und es ermöglicht uns, das Verlorene zurückzugewinnen.

Wir brauchen Symbolkraft, weil wir in einer Kultur leben, wo die unterschiedlichen Teile des Lebens auseinanderleben, wo z. B. Wort und Handlung, Geist und Leib nicht mehr zueinander passen oder sogar auseinanderklaffen. Wir trauen nur dem Geist, oder nur dem Wort oder, umgekehrt, nur der Handlung oder dem Leib. Aber wir sehnen uns, wie das Symbol uns lehrt, eine Einheit wieder zu finden.

Die zwei unterschiedlichen Ebene der Lesungen dieser Liturgie führen uns dahin.

  1. Jeder Mensch hat Erwartungen und Hoffnungen, Sorgen und Ängste. Das Wort Gottes bietet Trost und schenkt Mut. Das versicherten uns die Worte aus dem Buch der Weisheit. “Gott hat den Tod nicht gemacht… das Reich des Todes hat keine Macht auf der Erde … Gott hat den Menschen zur Unvergänglichkeit erschaffen… Nur durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt”. Was wir dort hören, ist schon mehr als eine tröstliche philosophische Auffassung, da sie ihre Kraft nicht aus der Autorität eines Menschen, sondern aus der Macht einer göttlichen Offenbarung schöpft. Fürchtet Euch nicht! der Tod, den ihr nach der Sünde erlebt, ist nicht das letzte Wort, es ist nicht Werk Gottes.
  2. Gott und sein Wort bleiben jedoch fern. Sie gelten wie ein Versprechen, das vielleicht unsere Zukunft betrifft. Um die volle Kraft dieser Worte zu spüren, braucht man doch etwas mehr. Auch das Evangelium berichtet von Furcht und Tod und Leiden. Wir erreichen hier aber eine zweite Ebene. Man spürt einen ganz anderen Ton.Um Jesus ist eine Menschenmenge. Die Jünger – die Kirche, wir – kümmern sich um die Menge. Nicht aber Jesus und nicht die Erzählung von Markus. Die Protagonisten sind ausschließlich einzelne Menschen: eine Frau, die seit langem krank war, Jairus (er wird sogar bei Namen genannt), dessen Tochter im Sterben liegt, das 12jährige Kind (wir erfahren sogar sein Alter!) und Jesus. Die Frau, der Jesus begegnet, kannte seine Worte schon. Sie konnten jedoch als Worte verstanden werden, die für alle gelten, die vielleicht sogar Zuversicht schenken konnten, aber genauso wie eine universal geltende Wahrheit. Sie fordert jetzt etwas mehr, sie sehnt sich nach einer Berührung. Und sie berührt eben sein Gewand. Jesus merkt es und will ihr begegnen, mit ihr reden. Nach dieser doppelten Annährung, die der Frau an Jesus und die von Jesus an die Frau, folgen die Worte Jesu: Gehe in Frieden, du sollst von deinem Leide geheilt sein. Die Worte kommen erst danach, nach der Berührung. Sie sind Worte eines Einzelnen an einen Einzelnen.Immer zu dieser zweiten Ebene gehört die andere Episode.Das wissen wir: Unsere größte Sorge ist der Tod. Es ist aber unerträglich, wenn ein Kind im Sterben liegt. Wir erinnern uns vielleicht an das Wort Fürchtet euch nicht, wie spüren jedoch, dass die Worte nicht ausreichen. Um sie zu vervollkommnen, tut eine Handlung not. Jesus spricht kein Wort, aber geht mit denjenigen, die das Kind lieben (alle anderen schickt er hinaus). Er nähert sich dem Kind, fasst es an und durch die Berührung wird das Kind auferweckt. Die Berührung ist die Kraft, die wunderfähig ist. Nicht das Wort allein.

Wir, hier. Es geht nicht um eine Interpretation, um eine Deutung, es geht darum, dass wir eine Veränderung erleben

Kommen wir nun zu uns zurück, zu uns hier und jetzt.

Wir sind heute, wie vorige und nächste Woche in die Kirche gekommen, in der Zuversicht, befreiende, heilende Worte zu hören. Aber gelten Sie echt für uns und für mich und jetzt? Werde ich sie verstehen und teilen? Werden sie mich berühren und werde ich durch sie die Nähe von jenem Herrn spüren, der sie gesagt hat? Trotz jeder Distanz und trotz unserer Unangemessenheit bleibt der Gott des Evangeliums in einer erreichbaren Nähe. Er lässt sich anrühren. Noch ein Wort von Guardini: «das erfüllt die ganze Liturgie. Jetzt geschieht etwas».

Man erlebt oft die Grenzen des Lebens: Man wird krank, man spürt, nicht auf der Höhe der eigenen Aufgaben zu sein, man leidet wegen des Todes seiner Lieben. Dies geschieht nie in der unpersönlichen Form des Man. Es geschieht mir. Es ist ein Ich, der/diejenige der, die leidet und manchmal verzweifelt. Und es ist ein Ich, das nach Heil sucht. Wie die kranke Frau in Markus Evangelium, erwarte ich ein persönliches Heil, vielleicht durch eine Berührung.

Gott ist da, und da bin ich. Aber wie weit voneinander entfernt, wie unangemessen ist mein Sein Ihm gegenüber. Wird es mir mal gelingen Ihn zu berühren? Wird mein Leben frei von jeder Furcht sein?

Wenn Gott der Schöpfer meines Lebens ist, kommt alles aus seiner Hand. Aber gelingt es uns so etwas zu spüren?

Die Liturgie, haben wir gesagt, ist ein Symbol, d.h. ein Versuch Wort und Handlung in Einklang zu bringen. Wir hören die Erzählung, wir hören das Wort, gleichzeitig geschieht aber etwas: Gott lässt sich berühren, kommt in unsere Nähe, wird Wein und Brot, lässt uns einen Segen zukommen. Und durch diese Nähe Gottes, gelingt es sogar, eine unerwartete Nähe zwischen uns zu spüren. Wir nehmen nicht nur an einer Feier teil, wir teilen uns in der Kommunion dasselbe Brot und denselben Wein. Für einen Augenblick geschieht ein Wunder, wir sind eine Gemeinschaft.

Diese bruchhafte Erfahrung bringen wir nach Hause mit, wir sind von einer Sehnsucht angesteckt, die uns nicht verlassen wird und die uns vielleicht sogar retten wird.

Ich wünsche es mir, ich wünsche es Ihnen.